„Das Entlastungspaket vergisst die Einkommensschwachen“
Paritätischer Wohlfahrtsverband Bremen kritisiert Maßnahmen der Bundesregierung als sozial ungerecht
Medieninformation
Bremen, 28. April 2022. Aus Sicht des Paritätischen Wohlfahrtsverbands in Bremen geht das von der Bundesregierung beschlossene Entlastungspaket nicht weit genug. Das Problem: In vielen Fällen betreffen die von der Ampelkoalition vorgeschlagenen Maßnahmen nur Erwerbstätige, während Menschen mit niedrigem oder keinem Einkommen sowie Rentner:innen durchs Raster fallen.
Für arme Familien habe sich die Lage durch die realen Kaufkraftverluste sogar verschlechtert. Die Anpassung der Hartz-IV-Regelsätze zu Jahresbeginn um lediglich drei Euro auf aktuell 449 Euro kann aus Sicht des Paritätischen Wohlfahrtsverband die aktuelle Preisentwicklung nicht im Ansatz ausgleichen. Da würden auch 100 Euro für, wie jetzt im zweiten Entlastungspaket vorgesehen, kaum helfen. „Solche Einmalzahlungen sind für Sozialhilfeempfänger:innen ein Tropfen auf den heißen Stein. Denn wir dürfen nicht vergessen: Der Regelsatz soll nicht ausschließlich das Überleben sicherstellen, sondern auch soziale Teilhabe ermöglichen – also beispielsweise auch mal einen Café- oder Kinobesuch ermöglichen“, so Wolfgang Luz, Vorstand des Paritätischen Wohlfahrtsverbands in Bremen. Zwar wirkten sich die Teuerungsraten für alle spürbar auf Lebensmittelpreise und Energiekosten aus. Doch während sich Normalverdienende allenfalls über die hohen Energie- und Spritpreise ärgerten, seien sie durch diese nicht existentiell bedroht. „Wer wenig hat, kann weder sparen noch auf Rücklagen zurückgreifen“, betont Luz.
Erhöhung der Regelsätze um mindestens 200 Euro
Anstatt einer Einmalzahlung fordert der Paritätische Bremen im Einklang mit dem Gesamtverband eine schnellstmögliche unterjährige pauschale Anhebung der Regelsätze. Ein armutsfester Regelsatz müsste nach Berechnungen des Gesamtverbands um rund 50 Prozent höher liegen als die derzeit gewährten Leistungen. Für eine:n alleinstehende:n Erwachsene:n brauche es mindestens 200 Euro mehr im Monat. Die Kopplung des Steuerfreibetrags an die seit Jahren nicht bedarfsdeckenden Regelsätze sei die Crux des bisherigen Systems und gehöre abgeschafft. „Sonst ist eine Ausgrenzung dieser Menschen aus der Gesellschaft und eine Vergrößerung der Schere zwischen Arm und Reich vorprogrammiert“, so Luz. Im Übrigen bedürfe es besserer Einkommensfreibeträge, schließlich seien auch Geringverdienende und Aufstocker:innen von den steigenden Mobilitäts-, Energie- und Lebensmittelkosten betroffen. Steuersenkungen würden sich bei dieser Gruppe nicht oder nur marginal bemerkbar machen, denn wer keine oder wenig Steuern zahlt, könne von Steuerentlastungen kaum profitieren, so Luz.
Bremer Tafel beobachtet steigenden Bedarf
Die steigenden Preise im Lebensmittelsektor machen sich auch bei der Bremer Tafel bemerkbar: Seit März sei die Zahl der Neuanmeldungen in Bremen um ein Vielfaches gestiegen. Vor allem an den Hauptstandorten Burg und Hemelingen kämen seit Ankunft der Ukraine-Geflüchteten fünfmal so viele Menschen, berichtet Uwe Schneider, Vorsitzender der Bremer Tafel. Auch in anderen Stadtteilen seien es mehr Familien und ältere Menschen, die sich Lebensmittel abholen. Schneider beobachtet zudem einen leichten Rückgang der Spendenbereitschaft aus dem Lebensmittelhandel. „Da ist noch Luft nach oben: Es gibt weiterhin genug Geschäfte in Bremen, die nicht verkaufte Ware an uns abgeben könnten.“ Eine weitere Herausforderung für den gemeinnützigen Verein sind die steigenden Sprit- und Energiepreise. Denn größtenteils holen die Ehrenamtlichen des Vereins die Lebensmittelspenden selbst mit Fahrzeugen ab. Und in den Ausgabestellen muss die Ware dann zum Teil gekühlt werden.
Gerechtere Regelung der Energiekomponenten
Um die Hilfe nachhaltig zu gestalten, sollte laut Paritätischem über den pauschalen Heizkosten-Entlastungsbetrag hinaus eine Energiekostenkomponente in das Wohngeld integriert werden bzw. die Warmmiete und nicht mehr die Kaltmiete zur Grundlage der Wohngeldberechnung gemacht werden. Aktuell sind in SGB II und Altersgrundsicherung die Kosten für Strom anteilig im Regelsatz festgesetzt. Von monatlich 449 Euro werden nur 38 Euro (8,5 Prozent) für „Wohnen, Energie und Wohninstandhaltung“ angenommen. Bei den aktuellen Strompreisen reicht das für die meisten Haushalte nicht aus.
„Die Stromkosten sollten daher nicht anteilig im Regelsatz festgesetzt, sondern als Bestandteil der Unterkunftskosten in voller Höhe übernommen werden“, fordert der Paritätische Gesamtverband.
Die Soforthilfe für Kinder im SGB II-Bezug und im Asylbewerberleistungsgesetz in Höhe von 20 Euro monatlich ist unbedingt zu begrüßen, doch reichet sie angesichts der völlig unzureichenden Regelsätze nicht aus, um Kinderarmut spürbar abzumildern. Laut jüngstem Bericht der Arbeitnehmerkammer Bremen leben allein in Bremen-Nord fast 6.000 Kinder unter 15 Jahren in Familien, die auf Sozialleistungen angewiesen sind. Gemeinsam mit dem Gesamtverband fordert der Paritätische daher, dass die im Koalitionsvertrag vorgesehene Neudefinition des Existenzminimums von Kindern nunmehr schnellstmöglich stattfindet.
Klimaprämie statt Tankrabatt
In Sachen Mobilität spricht sich der Paritätische Wohlfahrtsverband rigoros gegen Vorschläge wie einen pauschalen “Tankrabatt” oder Steuersenkungen auf Benzin aus, die sowohl sozial ungerecht als auch haushaltspolitisch und ökologisch unvernünftig seien. „Stattdessen würden wir es sehr begrüßen, wenn das vereinbarte Klimageld oder eine Klimaprämie auf den Weg gebracht würde. Eine pauschale Pro-Kopf-Rückgabe der Einnahmen aus der CO2-Bepreisung an die Verbraucher:innen würde nicht nur ökologisch die richtigen Anreize setzen, sondern darüber hinaus auch einen sozial gerechten Ausgleich enthalten“, so Luz. Eine von der Klima-Allianz Deutschland und Partnern in Auftrag gegebene Studie bestätige, dass dieses Verfahren kosteneffizient, rechtssicher und bürokratiearm umsetzbar wäre.
(Medieninformation vom 28. April 2022)