Bremer Wohltätigkeit

Umfangreiches Auskunfts-, Find- und Lesebuch zur Bremer Wohlfahrtspflege veröffentlicht

„Der Verein verdankt sein Dasein der Bewegung, welche in den letzten Jahrzehnten die Notwendigkeit des erwerblichen Arbeitens so vieler unbeschäftigter und unversorgter Frauen aus den verschiedensten Ständen hervorgerufen. Es brach sich immer mehr die Erkenntnis Bahn, dass auch die Frau bis zu einem gewissen Grade fähig und berechtigt sei, an der Arbeit der Männerwelt teilzunehmen und gleich ihm Brot zu verdienen…. Der hiesige Frauen-Erwerbsverein besteht seit 1867. In ihm besteht eine Fortbildungsschule, eine Nähschule und eine Ausbildungsanstalt für Kinderpflegerinnen. Einige hundert Mitglieder gehören ihm an. An den Sonntagabend-Unterhaltungen werden in ihm Vorträge von hiesigen Predigern der liberalen Richtung, Lehrern und anderen gehalten.“ So beschrieb 1881 ein Auskunftsbuch die Arbeit des Frauen-, Erwerbs- und Ausbildungsvereins, einer langjährigen Mitgliedsorganisation des Paritätischen Bremen. 

Nachzulesen im jetzt veröffentlichten Werk Bremer Wohltätigkeit. Verfasst wurde das über 2000 Seiten dicke Werk (es liegt auch als CD vor) plus Registerband von Jürgen Blandow, einem ehemaligen Sozialpädagogik-Professor der Uni Bremen und Vorsitzenden des Paritätischen Bremen von 1991 bis 2004. 

Über viele Jahre hat Jürgen Blandow alles zusammengetragen, was die Bremer Wohlfahrtspflege vom beginnenden 19. Jahrhundert bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs ausmachte. „Mich haben neben großen Linien immer auch die kleinen Dinge, das Alltägliche und die Alltagsgeschichte interessiert.  Was dachten die Leute damals, wie tickten sie, was trieb sie an, was machte sie stolz und was galt ihnen als Misserfolg. Ich habe deshalb viele scheinbare Nebensächlichen besonders gerne aufgenommen: Essenspläne, Hausordnungen für Anstalten, Anweisungen für Kinder, Verhaltensregeln für Mütter“, so Jürgen Blandow. 

Es ist eine Arbeit geworden, die ein wichtiges Stück der Bremer Geschichte und des Bremer Selbstbewusstseins  berührt. Bremen war über viele Jahrhunderte hinweg stolz auf seine wohltätigen Bürger und seine wohltätigen Werke. „Bremer Wohltätigkeit“  beschreibt freilich nicht die die zumeist dem Kaufmannsstand angehörenden vielen Wohltäter – die Schüttes, die Isenbergs, die Hachez, die Kuhlenkampffs, die Lahusens  und die vielen anderen im 19. Jahrhundert zu Geld gekommenen und dieses großzügig ausstreuenden, Mäzene. Es lädt vielmehr dazu ein, nachzulesen, was aus ihrem Geld wurde. 

Ein guter Teil des Geldes floss in einen Bereich, den man heute der freien Wohlfahrtspflege zurechnet: Für die Kinder armer, auf Berufstätigkeit angewiesener Mütter, waren Versorgungseinrichtungen über den Tag, Kinderbewahranstalten und Knaben- und Mädchenhorte, für die Kleinsten Krippen, einzurichten. Um Jugendliche von der Straße zu bringen, und sie vor Verwahrlosung und dem Abrutschen in Kriminalität zu bewahren,  fand man es richtig, sie in Jünglings- und Jungfrauenvereine zu integrieren. Für Personen, die unverschuldet in Not gekommen waren, die sog. „verschämten Armen“ waren Hilfen zu organisieren, die ihnen den diskriminierenden Gang  zum öffentlichen Armenwesen ersparten.  Man hatte sich um kranke, behinderte, erholungsbedürftige  und alte Menschen zu kümmern, für sie häusliche Dienste einzurichten, Krankenhäuser, Altenheime und Einrichtungen für die Erholungsfürsorge  zu bauen und zu unterhalten. Es ging um vorbeugende Maßnahmen gegen die Volkskrankheit Tuberkulose und um Maßnahmen zur Eindämmung der enorm hohen Säuglingssterblichkeit. „Gefährdete“, sittlich verkommende und schon „gefallene“ Mädchen und junge Frauen waren aus ihrem Verderben zu reißen und zu retten. Aus den Gefängnissen Entlassene  mussten in die Gesellschaft integriert werden, Wohnungslose waren zu beherbergen und mit Arbeit zu versorgen. Für Arbeiterfamilien waren gesunde Wohnungen zum erschwinglichen Preis zu erbauen. All das wurde kaum staatlich finanziert, private Geldgeber waren deshalb notwendig. 

Um diese vielen Ausprägungen dessen, was dem „wohltätige Sinn der Bremer Bürger“ zugeschrieben wird, geht es in dem Buch.  Beschrieben werden nahezu alle sozialen Vereinigungen, die zumindest eine Zeitlang zwischen 1800 und 1933 bestanden. Dies sind etwa 240 Stiftungen oder Vereine sowie weitere Zusammenschlüsse. In den drei Registern findet man Personen, Vereine incl. Behörden und kommunale Ämter sowie Arbeitsgebiete. 

Nach einer kurzen Beschreibung des Vereins oder der Stiftung wird aus Originaldokumenten zitiert: Gründungsaufrufe, Satzungen und Hausordnungen, Dokumente, die auch erahnen lassen, wie man das jeweilige Klientel betrachtete und mit ihm umging. Spannend auch, wie sich die Aussagen und Aktivitäten eines Vereins im Laufe der Zeit veränderten: im Kaiserreich, im Ersten Weltkrieg, in der Weimarer Republik, in die NS-Zeit. 

Im Teil E sind die im Fünften Wohlfahrtsverband, seit 1932 dann genannt Deutscher Paritätischer Wohlfahrtsverband, organisierten Vereine beschrieben. Das Remberti-Stift und Haus Seefahrt gehörten damals dazu, auch dazu die erste Neugründung im 19. Jahrhundert, der Verein zum, die Bremische Idiotenanstalt Haus Reddersen, der Guttempler Orden, der Verein für Blinde, Vereine und Einrichtungen für Säuglings- , Jugend- Mutterschutz und Sexualreform, die Zentrale für private Wohlfahrtspflege als Bindeglied zwischen öffentlicher und freier Wohlfahrtspflege, der Fünfte Wohlfahrtsverband selbst natürlich auch. 

Jürgen Blandow

Bremer Wohltätigkeit. Ein Auskunfts-, Find- und Lesebuch zu milden Stiftungen, wohltätigen Vereinen, gemeinnützi­gen Anstalten und zur Armen- und Gemeindepflege der Kirchen und Religionsgemeinschaften in der Stadtgemeinde Bremen. –  Vom beginnenden 19. Jahrhundert bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs.

Schriften des Staatsarchivs Bremen Band 59

Selbstverlag des Staatsarchivs Bremen 2019

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