Armutskonferenz diskutiert Forderungen mit Bürgermeister Bovenschulte

Bremen braucht alle - Schwerpunkt Migrationsgesellschaft. Multiethnisches Gesicht aus Puzzle-Teilen

Armutskonferenz: Bremen braucht alle!
Bündnis überreicht Bürgermeister Bovenschulte Forderungen zur Bremer Migrationsgesellschaft und Armutsreduzierung

Medieninformation:

Bremen, 13. November 2023. Das Bündnis Bremer Armutskonferenz hat heute zentrale Ergebnisse der diesjährigen Konferenz mit Bremens Bürgermeister Andreas Bovenschulte diskutiert. Schwerpunkt der 5. Bremer Armutskonferenz im März 2023 war die Bremer Migrationsgesellschaft unter dem Motto „Bremen braucht alle“. Dass diese Botschaft wichtiger denn je ist, bestätigte auch das Gespräch mit dem Bürgermeister. Rund 42 Prozent aller Bremer:innen haben laut Statistischem Bundesamt aktuell eine internationale Familiengeschichte, bei den unter 18-Jährigen sind es rund 60 Prozent.

„Angesichts aktueller Debatten um Migration und Haushaltskürzungen kommt viel zu kurz, dass der Großteil der Zuwächse von Beschäftigung in Deutschland und Bremen seit 2015 auf Menschen aus dem Ausland zurückgeht“, so Dr. René Böhme, Armutsforscher an der Universität Bremen. In der aktuellen Debatte werde ihr Beitrag zum Wohlstand in Deutschland und dass sich in Großstädten wie Bremen eine gut situierte migrantische Mittelschicht herausgebildet hat, oft ignoriert. Statistiken zeigen: Ziemlich genau die Hälfte der Menschen mit internationaler Familiengeschichte zählt in den Großstädten zur „Mittelschicht“, lebt im Wohlstand oder ist reich. Viele von ihnen arbeiten als Fachkräfte in strategisch wichtigen Berufsfeldern oder bekleiden (öffentliche) Führungspositionen. Auch das Qualifikationsniveau der in Deutschland geborenen Angehörigen der sogenannten zweiten und dritten Generation ist gleichwertig.

Diese Potentiale sind gerade in den kommenden Jahren unverzichtbar. Allein im Land Bremen werden in den kommenden Jahren rund 80.000 Beschäftigte in den Ruhestand gehen. Dieser enorme Personalbedarf, der jetzt schon in vielen Branchen und über alle Qualifikationsstufen hinweg besteht, wird auch in Bremen „Chancen für alle“ öffnen. Um dieses einmalige Zeitfenster für Arbeitsmarktintegration zu nutzen, muss die Bremer Stadtpolitik, gemeinsam mit Berlin und der Wirtschaft jetzt zügig die erforderlichen Weichen stellen, fordert das Bündnis Bremer Armutskonferenz. „Die Forderungen, die die diesjährige Armutskonferenz entwickelt und aufgeworfen hat, kann ich alle unterstreichen. Die Akteurinnen und Akteure sind eine wichtige Stimme in unserer Gesellschaft und benennen die Problemlagen. Jetzt gilt es, diese weiter zu bearbeiten“, so Bürgermeister Dr. Andreas Bovenschulte.

Auf der diesjährigen Armutskonferenz zeigte sich außerdem, dass es in Bremen, wie in anderen deutschen Großstädten politische Mehrheiten für eine vielfältige Stadtpolitik und mehr Teilhabechancen für Zugewanderte gibt. Das belegen repräsentative Studien. Auf sie gestützt, sollte die Bremer Stadtgesellschaft auf mehr Teilhabe und eine bessere Repräsentation (z. B. im Parlament und in Führungspositionen) von Menschen mit internationaler Familiengeschichte setzen, zum Wohle aller. Dazu bedarf es einer weitergehenden Öffnung der Stadtpolitik und wichtiger Institutionen und Organisationen: in den Bereichen Arbeit, Gesundheit, Bildung und Wohnen.

In der Tradition der Armutskonferenz wurde der Fokus auch auf die Armutsgefährdung gelegt. Denn gerade in Bremen leben überdurchschnittlich viele Menschen mit internationaler Familiengeschichte in beschwerlichen Lebenslagen. So sind Menschen mit internationaler Familiengeschichte besonders auf dem Bremer Arbeitsmarkt benachteiligt, „durch unterwertige Beschäftigung, geringere Einkommen, häufig befristete Arbeitsverhältnisse und körperlich anstrengendere Tätigkeiten“, so Dr. René Böhme. Auch in den Bereichen Bildung, Gesundheit und auf dem Wohnungsmarkt erleben sie im Alltag häufiger Abgrenzung, Diskriminierung oder bürokratische Hürden.
„Wie immer schauen wir bei der Armutskonferenz deshalb vor allem auf die kinderreichen Quartiere mit ihrer hohen Konzentration von prekären und von Armutslagen“, erklärt Nicole Tempel von der Koordinierungsstelle Gesundheitliche Chancengleichheit und Sprecherin der Armutskonferenz. Dort leben viele Arme und gering entlohnte Arbeiter:innen mit und ohne internationaler Familiengeschichte. Sie stellen die Mehrzahl der Belegschaften in den Niedriglohnbranchen des Reinigungsgewerbes, der Logistik, der Gastronomie und der Pflege. Vor zehn Jahren noch hatte eine Mehrheit von ihnen die realistische Hoffnung auf einen sozialen Aufstieg. Das galt schon für die Jahre vor der Corona-Krise für zwei Drittel nicht mehr.

Die Forderungen der Armutskonferenz in Kürze:

1.    Beim weiteren Kitaausbau müssen auch aufgrund ihrer wichtigen Integrationsaufgabe die kinderreichen sog. Ankunftsquartiere (WiN-Gebiete) in den Fokus und durch zusätzliches, mehrsprachiges Personal und systematische Sprachförderung unterstützt werden.
2.    Die begonnene ressortübergreifende Koordinierung „Gesamtstrategie Frühe Kindheit“ muss über das Jahr 2023 hinaus fortgeführt und finanziell abgesichert werden.
3.    Im Gesundheitsbereich muss es mehr Orientierung und Unterstützung für Zugewanderte geben. Hilfreich wäre eine Verstetigung der Gesundheitsfachkräfte im Quartier sowie niedrigschwellige lokale Gesundheitszentren. Es braucht EINEN mehrsprachigen Gesundheitsratgeber, kostenfreie Angebote für Telefon- und Videodolmetschen und eine Ausrichtung der Programme zur Sprach- und Kulturmittlung auf den Gesundheitsbereich.
4.    Das im Koalitionsvertrag genannte Instrument der sektoralen Bebauungspläne wird unterstützt, mit dem Ziel mehr sozial geförderten Wohnraum zu ermöglichen.
5.    Der Landesaktionsplan gegen Rassismus muss partizipativ erarbeitet werden, ebenso das Landesgesetz für Integration und Partizipation sowie die Landesantidiskriminierungsstelle.
6.    Migrationsämter in Bremen und Bremerhaven müssen ihre Verwaltungs- und Rechtspraxis (z. B. durch Personalaufstockung) unbürokratischer und zügiger durchführen.
7.    Die im Koalitionsvertrag angekündigten Verbesserungen bei der Anerkennung ausländischer Qualifikationen und das Recht auf Schulbesuch bis 25 Jahre müssen zügig auf den Weg gebracht werden.
8.    Förderpläne für Menschen mit internationaler Familiengeschichte im öffentlichen Dienst müssen umgesetzt und dafür auch Unternehmen gewonnen werden.

Das Forderungspapier liegt in der Kurz- und Langfassung hier zum Download vor:

·    Ergebnisse_5_Armutskonferenz_kurz.pdf (340,9 KiB)  
·    Ergebnisse_5_Armutskonferenz_lang.pdf (799,7 KiB)


Über die Bremer Armutskonferenz
Die Bremer Armutskonferenz gründete sich 2013 und besteht aus verschiedenen Bremer Akteur*innen: Der Paritätische Bremen, die Arbeitnehmerkammer, die Arbeiterwohlfahrt (AWO), das Aus- und Fortbildungszentrum für den bremischen öffentlichen Dienst (AFZ), der Bremer Rat für Integration (BRI), der Bremer Caritasverband, der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB), das Diakonische Werk, die GEW, die Koordinierungsstelle Gesundheitliche Chancengleichheit (LVG), das Deutsche Rote Kreuz (DRK), der Bremer Kinderschutzbund, die Bremer Volkshochschule (VHS) und als Kooperationspartner*innen die Bremer Quartiersmanager*innen und der Gesundheitstreffpunkt West. Die nächste Armutskonferenz wird voraussichtlich 2025 stattfinden.

Ergebnisse älterer Armutskonferenzen:

www.arbeitnehmerkammer.de/politik/familie-soziales/armut/1-bremer-armutskonferenz-chancen-fuer-kinder.html

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